Heute leben mehr Menschen als je zuvor in einem anderen Land als dem, in dem sie geboren wurden. Im Jahr 2019 erreichte die Zahl der Migrant:innen nach Schätzungen der Vereinten Nationen weltweit 272 Millionen Menschen, 51 Millionen mehr als im Jahr 2010. Internationale Migrant:innen machen gegenwärtig 3,5 Prozent der Weltbevölkerung aus. Das verändert Gesellschaft und Arbeitswelt, generiert Ressourcen, eröffnet Chancen. Internationaler Austausch wird wichtiger, zugleich selbstverständlicher, aber auch komplexer. Bereits 2018 haben daher Professorin Dr. Meike Munser-Kiefer, Professor Dr. Dr. h.c. Hans Gruber und Professor Dr. Rupert Hochholzer an der Universität Regensburg das Zentrum für Migration und Bildung initiiert. Es beschäftigt sich unter anderem mit Rassismus und Diskriminierung im Bildungssektor und setzt sich für inklusive Bildung ein. Für die Vizepräsidentin Prof. Dr. Ursula Regener ist „das weltweit gut vernetzte Zentrum mit seinem Lehrangebot ein Glücksfall für die universitäre Infrastruktur zu den Themen Internationalisierung und Diversity.“
„Wir wollen Diskriminierungen und ihre Mechanismen durch Forschungsprojekte und im Rahmen von Lehrangeboten sichtbar machen und reduzieren“, sagt Pädagogin Meike Munser-Kiefer. „In Zusammenarbeit mit Akteur:innen aus Politik und Zivilgesellschaft entwickeln wir Bausteine für eine Pädagogik, die zum kompetenten Handeln in einer von Migration und Globalisierung geprägten Welt befähigt.“ Zu diesem Zweck haben die Mitglieder des Zentrums für Migration und Bildung ein gleichnamiges Zertifikatsstudium entwickelt, das sich vor allem an Studierende pädagogischer Fächer richtet. Als interdisziplinäres Kooperationsprojekt verschiedener Fakultäten an der Universität Regensburg erreicht es jedes Semester bis zu 30 Studierende. Interdisziplinär und vielfältig ist auch der Blick auf das Thema Migration und Bildung in der gleichnamigen Ringvorlesung des Zentrums im aktuellen Sommersemester. Sie steht nicht nur den Studierenden, sondern allen Interessierten offen und nähert sich dem Thema aus verschiedenen Perspektiven. Unter anderem sprachen bereits Philosoph Dr. Martin Weichold von der Universität Regensburg und die empirische Sozialforscherin Professorin Dr. Sonja Haug von der OTH Regensburg, die breit angelegte Umfragen zu familiensoziologischen Fragestellungen im Kontext von Migration vorstellte.
Darüber, wie institutionelle Diskriminierung sichtbar wird und sich sichtbar machen lässt, reflektierte im Rahmen der Ringvorlesung unlängst die Lehrerin, bildungspolitische Aktivistin und ehemalige Antidiskriminierungsbeauftragte an Schulen des Landes Berlin Saraya Gomis: Viele Menschen erfahren „verwobene Diskriminierungen“ – beispielsweise sind Rassismus und Sexismus oft eng verknüpft. Die meisten Menschen trauen sich nicht, darüber zu sprechen, wenn sie diskriminiert werden, weiß Saraya Gomis, und fordert berufsethische Standards, wenn man mit Sensibilisierungsverständnis nicht weiterkommt. Eine diskriminierungskritische Haltung (auch sich selbst gegenüber) und Differenzsensibilität beschreibt sie als lebenslange Prozesse, und wer sich nicht um beides bemühe, tue sich schwer damit, Demokratie und Menschenrechte zu verteidigen.
Gomis greift vieldiskutierte Beispiele auf, etwa die Forderung nach gendergerechter Sprache, die oft als übertriebene Political Correctness interpretiert wird. Solche Interpretationen lässt sie nicht gelten, „wenn wir das professionelle Wissen darum haben, dass Sprache Handlung prägt“. Schulen und Universitäten seien in der gesellschaftlichen Pflicht, für eine „Kultur der Besprechbarkeit“ zu sorgen, fordert die Lehrerin, und nicht für jeden verständliche Debatten seien dann eben so herunterzubrechen, dass alle sie verstehen. Sie plädiert auch für die Förderung transkultureller bzw. intersektionaler Bildung, die über die interkulturelle Bildung hinausgehe, die meist im eigenen Kulturverständnis verhaftet bleibe.
Ziel des Zentrums für Migration und Bildung ist es, solche Erkenntnisse und Innovationen für eine globalisierte Welt der Zukunft zu entwickeln und zu vermitteln: Studierende sollen eine Bildung erfahren, die sie auf die regionalen und globalen Veränderungen in Gesellschaft und Arbeitswelt professionell reagieren lässt. Zwischenzeitlich vereint die Initiative ein interdisziplinäres und internationales Wissenschaftsnetzwerk mit 56 Wissenschaftler*innen, das zum Thema Migration forscht und (zusammen)arbeitet. Die Third Mission ist dem Zentrum neben Forschung und Lehre das dritte wichtige Anliegen – die Initiator:innen plädieren eindringlich für das Wirken der Universität in die Gesellschaft hinein. Das Zentrum pflegt eine enge Verbindung zum Verein CampusAsyl e. V., den Prof. Dr. Rupert Hochholzer und der Hochschulpfarrer Hermann Josef Eckl Ende 2014 an der Universität Regensburg und der Ostbayerischen Technischen Hochschule gründeten. Der mit dem Bayerischen Integrationspreis 2019 ausgezeichnete Verein unterstützt mit mehreren Hundert Freiwilligen, darunter auch Studiengangteilnehmer:innen, in verschiedenen Projekten geflüchtete Menschen und deren Integration in die Gesellschaft.